Freitag, 27. Juni 2014

Selbsternannte Wunderheiler setzen Geld vor Gesundheit

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Alternativmedizin-SzeneSelbsternannte Wunderheiler setzen Geld vor Gesundheit


Es sieht aus wie ein harmloses Wässerchen, enthalten ist aber hochgiftiges Chlordioxid. Ali Erhan und andere selbst ernannte Gesundheitsapostel wollen damit alles Mögliche kurieren: Sogar Krebs. Die Gesundheitsbehörden in Hessen sind alarmiert. Doch die Anhänger lassen sich nicht beirren.
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Frankfurt. 
Schon die Bezeichnung müsste stutzig machen: MMS steht für „Miracle Mineral Supplement“ (Mineral-Wundermittel). Doch weder sind Mineralien enthalten noch kann es Wunder bewirken. Dahinter verbirgt sich, wovor Gesundheitsbehörden auf aller Welt, seit dieser Woche auch in Hessen warnen: Es handelt sich um Natriumchlorit. Eine scharfe Chemikalie, die üblicherweise als giftig und brandfördernd eingestuft wird.
Das "Miracle Mineral Supplement" (MMS) wird über das Internet verkauft. (Screenshot: Google)/rhein-main/Selbsternannte-Wunderheiler-setzen-Geld-vor-Gesundheit;art801,913136Das "Miracle Mineral Supplement" (MMS) wird über das Internet verkauft. (Screenshot: Google)
Versetzt man diese mit einer Säure, dann entsteht Chlordioxid – ein Bleich- und Desinfektionsmittel, das industriell zum Beispiel in Schwimmbädern eingesetzt wird. Unverwechselbar ist der stechende Chlorgeruch. Einige Tropfen täglich davon selbst verabreicht, soll es alle möglichen Krankheiten kurieren können, behauptet eine Bewegung in der Alternativmedizin-Szene. Es helfe bei Grippe, Fußpilz, Herpes, Blasenbeschwerden und vielem mehr. Sogar Krebs, Aids und Malaria könne es heilen – bis hin zu Autismus bei Kindern. Tausende vertrauen darauf. Weil sie auf Gesundheit hoffen. Kongresse und Seminare in ganz Deutschland, auf denen die angeblich bahnbrechende Alternative zur Schulmedizin angepriesen wird, haben großen Zulauf.
Dabei handelt es sich eindeutig nicht um ein Medikament. Es ist nicht geprüft, und es ist nicht zugelassen. Es gibt keinerlei wissenschaftliche Nachweise für eine heilende Wirkung. Der Handel mit der ätzenden Flüssigkeit zum Zwecke der medizinischen Behandlung von Krankheiten ist daher strafbar. Die Behörden, allen voran das Bundesamt für Risikobewertung, haben vor der Einnahme des ätzenden Gemischs schon länger gewarnt.

In Ländern verboten

MMS ist in anderen Ländern Europas ebenso verboten. In Kanada und den USA raten die Gesundheitsbehörden von der Verwendung ab. Es berge „erhebliche Gesundheitsgefahren“. Schwere Darminfektionen habe es nach der Einnahme gegeben. Es kann zu Verätzungen der Haut und Schleimhäute kommen. Fälle von Schmerzen, Erbrechen und Durchfall wurden gemeldet. Die Langzeitschäden bei längerer Einnahme seien nicht abzuschätzen. In Deutschland ermittelte Ende 2010 in Oberbayern die Staatsanwaltschaft gegen einen Arzt, der MMS an seine Patienten verkaufte. In dieser Woche hat auch das Regierungspräsidium Darmstadt eine Warnung vor dem angeblichen Wundermittel gegen Krebs und Co. herausgegeben.

Entsetzen: Pures Gift

Apothekerin Dr. Margarethe Kraus, die im Regierungspräsidium für die Überwachung von Arzneimitteln, den Vertrieb und die Hersteller in Hessen zuständig ist, zeigt sich entsetzt: „Das ist pures Gift. Niemand käme ja auch nicht einfach auf die Idee, irgendeine Bleiche zu trinken.“ So lange MMS nicht verkauft werde, liege keine Straftat vor. Höchstens eine Ordnungswidrigkeit bei Verstoß gegen das Arzneimittelwerbegesetz. Man könne nur an den gesunden Menschenverstand appellieren bei diesem fragwürdigen „Produkt“, das gerade dabei ist, zum letzten Schrei in der Pseudo- und Alternativmedizin zu werden – ein Trend, den man offenbar in Frankfurt gerne aufgreift.
Aufmerksam wurde das Regierungspräsidium auf MMS nach Bekanntwerden einer Veranstaltung, die kommenden Freitag (4. Juli), im Frankfurter „Finkenhof“ stattfinden soll. Bürger hatten darauf hingewiesen. Für den „Frankfurter Ring“, einen Verein, der nach eigenen Angaben Autoren, Therapeuten und Heiler, Wissenschaftler und Künstler „aus aller Welt“ zu Vorträgen und Workshops einlädt, soll Ali Erhan über Wirkunsweise und Anwendungsmöglichkeiten der „genialen Substanz“ MMS referieren. Ali Erhan wird auf der Internetseite des Vereins vorab als einer der „wichtigsten Insider der MMS-Bewegung“ angekündigt.
Der Mann, der kein Arzt, sondern Maschinenbauer mit Diplomabschluss ist, verweist selbst auf die „Ausbildung“ beim US-Amerikaner Jim Humble, der den Stoff MMS in den 90er Jahren entdeckt und damit angeblich Zehntausende Afrikaner von Malaria geheilt haben soll.

Jim „Bischof“ Humble

Humble, der ebenfalls medizinischer Laie ist, war Ingenieur, Autor für Computerhandbücher und Gründer einer pseudoreligiösen Gemeinschaft. Seit einigen Jahren nennt er sich auch „Bischof James“ und tourte ebenfalls bereits auf Vortragsreisen durch Deutschland. Vorgestellt wurde dabei auch eine zweite, gefährliche Substanz, die „Schwarze Salbe“ genannt wird und bei Patienten mit Haut- und Brustkrebs angewendet werden soll. In der Salbe ist Zinkchlorid enthalten. Zinkchlorid ist ebenfalls eine aggressive Chemikalie, die zu Hautschäden führt und in Deutschland genauso verboten ist wie MMS, das hauptsächlich übers Internet – deklariert als Desinfektionsmittel – bestellt werden kann.
Dass bei Humble und Ali Erhan mit der brutalen chemischen Keule offenbar die Gefährdung der Gesundheit vieler Menschen in Kauf genommen wird, ist kein Hinderungsgrund für den „Fankfurter Ring“, Erhan auftreten zu lassen – freilich gegen eine Gebühr von 290 Euro für die zwei Seminartage. Jeder solle sich seine eigene Meinung bilden können, sagt die Vereinsvorsitzende Brita Dahlberg. Im Übrigen habe man in ihrem Bekanntenkreis, zu dem auch Ärzte gehörten, nur positive Erfahrungen mit MMS gemacht. Und die Warnungen der Behörden? „Beruhen auf Missverständnissen“, sagt Dahlberg.
Es wird auf einen Link zum Herunterladen einer Info-Broschüre zu MMS auf der Vereins-Homepage hingewiesen. Vorsorglich hat man dort auch deutlich gemacht, dass der Verein in „keiner Weise mit den Herstellern oder Anbietern von MMS-Produkten verbunden“ ist und MMS-Produkte „nicht zum Kauf angeboten werden“. Womöglich im Wissen, dass man auch im Frankfurter Polizeipräsidium und dem Ordnungsamt schon hellhörig geworden ist.

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