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Massive Kürzungen im griechischen Gesundheitssystem haben zu erschreckenden Entwicklungen geführt. Fälle von Tuberkulose und Malaria werden gemeldet, die Kindersterblichkeit hat sich deutlich erhöht. Von Oliver Noffke
Wie sich Griechenland krank spart
22. Februar 2014, 17:45 Uhr
Massive Kürzungen im griechischen Gesundheitssystem haben zu erschreckenden Entwicklungen geführt. Fälle von Tuberkulose und Malaria werden gemeldet, die Kindersterblichkeit hat sich deutlich erhöht. Von Oliver Noffke
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Alte, Schwache, Neugeborene und Risikogruppen leiden besonders unter den Einsparungen im griechischen Gesundheitssystem© Louisa Gouliamaki/AFP
Zwei Mal hat die Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und dem Internationalen Währungsfond (IWF) der griechischen Regierung Hilfspakete zukommen lassen. Insgesamt etwa 240 Milliarden Euro für das Versprechen der Griechen, endlich den desolaten Staatshaushalt in den Griff zu bekommen. Besonders auf der Ausgabenseite sollte die Regierung unnötigen Ballast abwerfen.
Die Folgen der erzwungenen Sparpolitik: Mit Übereifer sei die Kostenreduzierung im Gesundheitssystem vonstatten gegangen, lautet das Ergebnis einer Studie der University of Cambridge in London. Mittlerweile werden höchstens sechs Prozent des griechischen Bruttoinlandprodukts im Gesundheitssystem ausgegeben. Kein anderes Land, das schon vor 2004 EU-Mitglied war, zeigt einen so niedrigen Wert auf. Laut der Studie wurde so radikal gekürzt, dass die direkten Folgen für den Gesundheitszustand der Bevölkerung offensichtlich seien.
Die Rückkehr der Malaria
Budgets für Krankenhäuser wurden seit 2008 um mehr als ein Viertel reduziert, sodass besonders in ländlichen Gegenden medizinisches Gerät und Medikamente knapp sind. Durch mehrere Gesetze wurden die Kosten für Behandlungen zu einem großen Teil an die Patienten übertragen. Viele müssten nun die Kosten für ihre Medikamente auslegen und später von ihren Versicherungen zurückfordern. Beides trifft laut der Studie besonders alte Menschen. Mehr als 800.000 Menschen stünden zudem heute ganz ohne Versicherung da.
Besonders bei der Drogenprävention sind die Auswirkungen des Sparkurses deutlich. Allein zwischen 2009 und 2010 wurden ein Drittel der sozialen Projekte in diesem Bereich gestrichen. Streetworker verteilen seitdem weniger saubere Spritzen und deutlich weniger Kondome. Die Folgen sind in der Statistik einfach zu erkennen: Infizierten sich im Jahr 2009 nach offiziellen Angaben noch 15 drogenabhängige Menschen mit HIV, waren es drei Jahre später 484. Sexuell übertragene HIV-Neuinfektionen haben sich im gleichen Zeitraum stabil oder sogar leicht rückläufig entwickelt. Die Autoren der Studie befürchten zudem, dass es deutlich mehr Fälle von Tuberkulose in dieser Risikogruppe gibt. Nachdem Programme zur Abtötung von Moskitos radikal gekürzt worden sind, gab es erstmals seit 40 Jahren wieder Malaria-Übertragungen vor Ort.
Beispiel an Spanien nehmen
Die indirekten Folgen des Sparkurses sind ebenso frappierend. Höhere Arbeitslosigkeit und ein generell sinkender Lebensstandard hätten ein höheres Aufkommen an psychischen Erkrankungen zur Folge. Mit der größeren Anzahl an Betroffenen kann das griechische Gesundheitssystem jedoch nicht mehr mithalten. Im Gegenteil: Auch hier wurden Förderungen und Sprechzeiten gekürzt. Zwischen 2007 und 2011 gab es in Griechenland 45 Prozent mehr Selbstmorde.
Erschreckend sind die Zahlen, die der Bericht zur gesundheitlichen Entwicklung bei Neugeborenen aufzeigt. Seit Beginn der Krise gibt es in Griechenland 19 Prozent mehr untergewichtige Babys, eine Zunahme von Totgeburten um 21 Prozent und die Sterblichkeitsrate von Neugeborenen ist insgesamt um 43 Prozent gestiegen.
Statt das Problem zu erkennen, sei es sowohl von der griechischen Regierung als auch von der Troika ignoriert worden, schließen die Autoren der Studie. In der Vergangenheit hätten Länder wie Finnland oder Island gezeigt, dass Staaten massiv Kosten einsparen könnten, ohne das Gesundheitssystem zu durchlöchern und die medizinische Versorgung der Bevölkerung zu verschlechtern. Die griechische Regierung tue gut daran, sich ein Beispiel an Spanien zu nehmen, das die Forderungen des IWF nach Kürzungen im Gesundheitssystem und im sozialen Bereich an vielen Stellen ignoriert habe.
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