"Bill Gates ist rücksichtslos"
Warum die Microsoft-Milliarden nicht nur helfen, sondern auch Abhängigkeiten verlängern
- David McCoy ist, wie medico, Mitglied im People's Health Movement. Er lehrt Public Health an der Queen Mary Universität in London und hat in einer Studie die Gesundheitsprogramme der Gates Foundation untersucht. (Foto: medico)
Der Microsoft-Gründer setzt sich wie kaum ein anderer Unternehmer für die Armen ein. Der britische Mediziner David McCoy kritisiert das Engagement trotzdem: Die Gates- Stiftung wurde gegründet, um Macht auszuüben, sagt er im Interview mit Kathrin Hartmann.
Herr McCoy, die Bill & Melinda Gates Foundation ist die weltweit bekannteste philanthropische Stiftung. Sie unterstützt die Bekämpfung von Krankheiten in armen Ländern, die Entwicklung von Impfstoffen und landwirtschaftliche Programme zur Bekämpfung von Hunger. Sie gehören zu den wenigen Medizinern, die das kritisieren. Warum?
Es ist wichtig zu verstehen, dass die Stiftung nicht nur eine Wohltätigkeitsorganisation ist, sondern Einfluss auf Politik, Forschung und selbst journalistische Berichterstattung hat. Mit einem Stiftungsvermögen von 29,3 Milliarden Euro und einem ähnlich großen Betrag, den Warren Buffett der Stiftung für die Zukunft zugesagt hat, ist sie extrem mächtig. Ich sehe Probleme in der Gestaltung und Herangehensweise dieser Programme und darin, dass die Stiftung keine Rechenschaft ablegen muss.
Sie haben 1000 Förderungen für Gesundheitsprogramme im Wert von fast neun Milliarden Dollar untersucht, die die Stiftung zwischen 1998 und 2007 gewährt hat. Wie lautet Ihr Ergebnis?
Die Stiftung unterstützt eine breite Auswahl von Organisationen und wirkt durch sie. Dazu gehören die Weltgesundheitsorganisation (WHO), große Gesundheitspartnerschaften zwischen der öffentlichen Hand und Unternehmen wie Global Fund oder der Globalen Allianz für Impfstoffe (GAVI), internationale Nichtregierungsorganisationen, Forschungsinstitute und führende Universitäten in den USA und Europa, die zu globaler Gesundheit arbeiten. Die Stiftung unterstützt sogar die Weltbank. Sie konzentriert ihren Einfluss und ihr Geld auf wenige ausgewählte Technologien und Krankheiten, insbesondere HIV, Tuberkulose, Malaria und solche, gegen die man impfen kann.
Und das ist schlecht?
Sicher ist es gut, mehr Geld für Impfungen und die Behandlung dieser Krankheiten in armen Ländern zu haben. Aber dieses Geld wurde nicht immer effizient und kostensparend eingesetzt. Vor allem zu Beginn, Anfang der 2000er-Jahre, hat die Konzentration von Global Fund und GAVI auf Impfungen und nur drei Krankheiten dazu beigetragen, dass andere dringende Probleme vernachlässigt wurden. Gesundheitssysteme in armen Ländern müssen sich um viele wichtige Dinge gleichzeitig kümmern: Behandlung von Krankheiten, Vermeidung von Krankheiten durch falsche Ernährung, Zugang zu sauberem Wasser, Ausbildung von Ärzten und Krankenpflegern, Verbesserung von Informationssystemen. Wenn externe Kräfte wie die Gates- Stiftung Programme finanzieren, die sich nur auf wenige Krankheiten oder Technologien konzentrieren, kann das Gesundheitssystem insgesamt Schaden nehmen.
Aber muss sich eine Stiftung nicht auf einzelne Aspekte konzentrieren?
Stellen Sie sich vor, Sie leiten eine Schule in einer armen Gemeinde. Es kommt ein Finanzier mit einer Menge Geld – aber nur für Mathe und Physik. Er muss die Wirkung nachweisen, also bringt er Experten von außen, die der Schule helfen, die Prüfungsergebnisse in Mathe und Physik zu verbessern. Er besteht sogar darauf, dass Mathe- und Physiklehrer besser bezahlt werden. Aber Sie haben keine Ahnung, wie lange diese Unterstützung anhält. Das passierte mit Gesundheitssystemen, als solche eng gefassten Programme durch externe Organe wie Gates’ Stiftung initiiert und finanziert wurden. Das ist besonders problematisch, da die Strukturanpassungen der 80er- und 90er-Jahre, wegen der arme Länder zum Schuldenerlass öffentliche Investitionen zurückfahren mussten, Gesundheitssysteme und öffentliche Dienstleistungen bereits geschädigt hatten.
In einem Werbespot anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Global Fund feierten Prominente wie Bono, Bill Clinton und Bill Gates, dass das Programm 8,7 Millionen Leben gerettet habe. Stimmt diese Zahl?
Sie ist übertrieben. Der Global Fund hat eher drei bis vier Millionen Leben gerettet. Für wichtiger halte ich aber die Botschaft der Werbung, dass Reiche den Armen helfen. Demgegenüber steht die Tatsache, dass das Vermögen aus illegalen Finanzströmen, die aus Afrika herausgehen, um ein Vielfaches höher ist als die Summe der Hilfsgelder, die Afrika erhält. Ein Großteil landet auf Firmen- oder Privatkonten der Elite, oft genug in Steueroasen.
Unbestritten ist aber doch, dass Menschen gerettet werden.
Schnell reagieren, Leben retten und gleichzeitig institutionelle Kapazitäten aufzubauen, das ist die größte Herausforderung im globalen Gesundheitssektor. Wir dürfen aber nicht die Ursachen von Armut, Mangelernährung und Krankheiten vernachlässigen. Sonst bleiben die Armen dauerhaft von Hilfe abhängig. „Leben retten“, das ist ein mächtiges rhetorisches Instrument, um Probleme zu entpolitisieren: „Wir retten hier Leben. Stört uns nicht mit politischen Fragen oder euren Bedenken zu Gerechtigkeit, ökonomischen Entwicklungen, Selbstbestimmung oder Umweltverträglichkeit.“
Helfen globale öffentlich-private Programme zwischen Staaten und Unternehmen wie der Global Fund und GAVI nicht?
Wir sind heute viel besser in der Lage, Menschen unter Armutsbedingungen am Leben zu halten. Aber der Klimawandel, Ressourcenkonflikte und Resistenzen gegen Antibiotika können die Verbesserungen, die in den vergangenen 15 Jahren in armen Ländern erreicht wurden, rückgängig machen. Wir haben etwa eine höhere Lebenserwartung von Menschen mit HIV in Afrika. Die Lehre daraus sollte nicht sein, dass wir immer Medikamente für neue Krankheiten finden, sondern dass Menschen vor neuen Bedrohungen geschützt werden müssen – durch Ernährungssicherheit, Bildung, sauberes Wasser, Beschäftigung und demokratische Institutionen. Bill Gates’ Fokus auf Charity und Technologie enthält kein Bekenntnis zu sozialer Gerechtigkeit und nachhaltiger Entwicklung. Er stellt auch nicht das Wirtschaftssystem in Frage, das Vermögen von unten nach oben verteilt.
Befürworter halten dagegen, dass Bill Gates Wohlstand zurückgibt und seine unternehmerischen Fähigkeiten dafür einsetzt, den Armen zu helfen.
Er gibt kein Geld zurück. Es bleibt unter seiner Kontrolle, wie er es einsetzt. Ich möchte den Blick aufs große Ganze lenken, dessen Teil die Stiftung ist: den Zusammenhang zwischen dem immensen Reichtum und der Verarmung. Dass exzessives und konzentriertes Vermögen das Ergebnis einer fairen und effizienten wirtschaftlichen Entwicklung ist und den Armen durch den sogenannten Trickle-Down- Effekt hilft – es also von oben nach unten durchsickert –, das ist ein Mythos, den auch die Gates Foundation verbreitet. Charity ist oft ein Akt der Großzügigkeit. Aber sie kann auch das Macht- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen Reichen und Armen verstärken oder dazu benutzt werden, ungerechte, undemokratische oder repressive Strukturen zu erhalten.
Mit einem Privatvermögen von 56 Milliarden Euro ist Bill Gates der reichste Mann der Welt. Einige sagen, sein Vermögen sei verdient, weil er ein Genie ist.
Manchmal sage ich meinen Studenten, sie sollen sich eine Welt ohne Bill Gates vorstellen. Würden wir Laptops, Textverarbeitungsprogramme und Internet haben? Es dauert nicht lange, bis sie sich fragen, wieso eine Person so viel privates Vermögen mit einer Entwicklung gemacht hat, die sowieso passiert wäre. Gates’ Vermögen beruht nicht so sehr auf seiner Intelligenz oder seiner Genialität, sondern auf seinem rücksichtslosen Geschäftssinn, der ihm erlaubt hat, einen Markt zu monopolisieren und Steuervermeidung zu maximieren.
Die Gates Foundation unterhält Partnerschaften mit Pharmakonzer- nen wie Novartis, Glaxo Smith Kline, Sanofi und Merck. Auch das kritisieren Sie. Warum?
Es gibt eine Menge Marktversagen im Pharma-Sektor, das zu exorbitanten Gewinnen und ineffzienter Forschung mit zu vielen Interessenskonflikten führt. Das schadet der Allgemeinheit. Der Schlüssel liegt im System der geistigen Eigentumsrechte, das Gates mit aufgebaut hat, als er noch bei Microsoft war. Seine Stiftung arbeitet eng mit der Pharma-Industrie zusammen. Es sollte besser erforscht werden, wie viel privates und öffentliches Geld so in die Entwicklung von Medikamenten und Impfungen fließt, die dann privatisiert und gewinnbringend auf einem wettbewerbsverzerrten Markt verkauft werden.
Das Stiftungsvermögen rührt auch aus Kapitalanlagen in Unternehmen wie Monsanto, Coca Cola, McDonald’s und Shell. Wie verträgt sich das mit dem Anspruch, die Gesundheit zu fördern?
Dass die Stiftung keine Ethik- und Nachhaltigkeitsstandards in ihrer Investitionspolitik hat, ist unbegreiflich und falsch. Sie ist zum Beispiel nicht nur ein großer Anteilseigner von Coca Cola, sondern bewirbt den Konzern als Beispiel für effektive und gute Unternehmensführung. Dabei ist der Beitrag von Coca Cola zu massenhaftem Übergewicht, die Geschäftspraktik und die Auswirkung der Fabriken auf lokale Gemeinschaften fragwürdig. Mit ihrer Anlagenpolitik legitimiert die Gates Foundation Akteure und Gesetze, die nicht legitimiert gehören. Dazu kommt, dass ein großer Teil des Stiftungsvermögens auf Steuerbefreiung beruht. Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, zu erfahren, wie das Geld verwendet wird.
In Deutschland unterstützt die Gates Foundation mit 20 Millionen Euro privat-öffentliche Entwicklungspartnerschaften, zu denen Firmen wie BASF, Bayer und Syngenta gehören. Voraussetzung war, dass die deutsche Regierung dafür weitere 20 Millionen Euro aus dem Topf der Entwicklungshilfe in diese Partnerschaften investiert.
Partnerschaften sind im Prinzip gut. Aber viele ermöglichen und legitimieren den Zugriff von Unternehmen auf den öffentlichen Sektor. Nehmen wir den Einfluss multinationaler Konzerne innerhalb des Transatlantischen Handelsabkommens. Das sind weniger Verhandlungen zwischen den USA und der Europäischen Union, als zwischen Interessensgruppen aus Industrie, Finanzsektor und der Allgemeinheit. Wir wollen nicht, dass Milliardäre, Banken und Konzerne die Politik bei Finanzmarktregulierung und Umweltgesetzen beeinflussen. Warum sollte das für Landwirtschafts- und Gesundheitsprogramme in Ordnung sein?
Dennoch gibt es im Gesundheitssektor wenig Kritik an dem Einfluss der Stiftung. Ist das vorauseilender Gehorsam, um an Fördermittel der Stiftung zu kommen?
Geballtes Vermögen und Macht kaufen nicht nur Einfluss, sondern auch Zustimmung, Selbstzensur und Gruppendenken. Bevor ich anfing, zur Gates Foundation zu forschen, wurde ich gewarnt, dass das meiner Karriere schaden könnte. Aber nachdem meine Studie im Medizinjournal The Lancet veröffentlicht wurde, bestätigten viele, dass die Stiftung einen zu großen Einfluss hat und ein Klima schafft, in dem sich Gesundheitsexperten weigern, ihr zu widersprechen.
Warum engagiert sich Bill Gates – profitiert er persönlich davon?
Die Stiftung wurde nicht gegründet, um Geld zu machen. Aber sie ist ein Mittel, um Macht und Einfluss auszuüben. Bill Gates nennt sich einen „ungeduldigen Optimisten“. Aber ich finde, dass seine Hoffnungen konservativ und unambitioniert sind. Ich will eine gerechte Entwicklung – nicht nur Charity. Ich bin hier der ungeduldige Optimist. Dennoch: Es scheint ihm ernst zu sein, Gutes für die Armen tun zu wollen. Deshalb würde ich mit ihm gerne öffentlich diskutieren.
Worüber wollen Sie sprechen?
Darüber, dass Technologie nur ein Teil jeder Lösung sein kann. Ich würde mit ihm über die Unzulänglichkeit des Systems geistiger Eigentumsrechte sprechen und ihn auffordern, sich für Banken-, Buchführungs- und Steuerreformen einzusetzen, die unterbinden würden, dass hunderte Milliarden Dollar auf illegalem Weg Afrika verlassen. Über Handels- und Investitionsabkommen, von denen Investoren und Großkonzerne profitieren und unter denen Menschen und Umwelt leiden. Ich würde ihn fragen, ob er das geringe Vermögen des einen Prozent ökonomisch und ethisch begründen kann und ob das erbärmliche Gehalt hunderttausender Krankenschwestern und Lehrer weltweit gerechtfertigt ist. Mir würde noch viel einfallen. Wir könnten stundenlang diskutieren.
Das Interview führte Kathrin Hartmann. Erschienen in der Zeitschrift Enorm (3/2014).
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